Bericht • 04.04.2016

Versäumte Chancen: Barrierefreies Einkaufen im Internet

Anbieter barrierefreier Webseiten bedienen die größtmögliche Kundengruppe und erzielen die meisten Kaufabschlüsse

Barrierefreiheit spielt nicht nur in Geschäften vor Ort eine Rolle. Auch in...
Barrierefreiheit spielt nicht nur in Geschäften vor Ort eine Rolle. Auch in Online-Shops kann sie ein entscheidendes Kriterium für Kunden mit Behinderung sein
Quelle: panthermedia.net/seenivas

Das Beste vorab: Bei diesem Thema könnte es eigentlich nur Gewinner geben. Aber: Die meisten Webseiten sind für viele Menschen nur mit Hürden nutzbar. Dadurch gibt es Verlierer auf allen Seiten – bei den Webshop-Anbietern wie bei den Nutzern.

Wenn der Brite Rick Williams online einkaufen möchte, tut er das meist auf seiner Lieblingsseite eines bestimmten Online-Supermarktes: Zum einen weil er dort alles findet, was er sucht, und zum anderen weil ihn die Seite nicht vor technische Probleme stellt – wie so viele andere. Da er blind ist, nutzt er nämlich beim Surfen seinen Screenreader, der ihm die Inhalte vorliest. "Wenn eine Seite nicht gut lesbar ist, verlasse ich diese und suche, wenn überhaupt möglich, eine andere", berichtet er. So wie ihm geht es sehr vielen Nutzern mit Behinderung, die nicht auf herkömmliche Weise mit dem Computer umgehen können.

Rick ist Geschäftsführer der Freeney Williams Ltd. und beratendes Mitglied des Business Disability Forums. Er testet Webseiten hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit. Dabei fand er heraus, dass circa 70 Prozent dieser Webseiten für Menschen mit einer Behinderung nicht voll zugänglich sind. Das Schlimme daran: "Selbst als wir Anbieter darauf aufmerksam machten, dass ihre Seiten nicht zugänglich sind, änderten diese in den meisten Fällen nichts daran", kritisiert er.

"Wenn das Gesetz sie nicht überzeugen kann, Dinge anders zu machen und über Käufer mit Behinderung nachzudenken, vielleicht können es die Zahlen." (Rick Williams)

Aus dem Grund startete er im Januar dieses Jahres mit Partnern die Benutzer-Umfrage "Click-Away Pound". Rick nennt die Ziele: "Mit dieser Studie möchten wir Anbieter darauf aufmerksam machen, dass sie Umsatzverluste und nachteilige PR riskieren, wenn sie keine barrierefreien Angebote schaffen, und sie damit motivieren, etwas zu unternehmen." Ein wesentliches Zwischenergebnis: "Neben der Bestätigung, dass die meisten Menschen mit einer Behinderung schlechte Webseiten verlassen, scheinen sie auch häufig mehr für Produkte auszugeben als nichtbehinderte Kunden. Und das einfach nur, weil ihre Auswahl durch schlechte Webangebote begrenzt ist."

Was den engagierten Briten besonders stört, ist, dass es eigentlich schon längst internationale Standards für barrierefreie Webseiten gibt, aber kein englisches Unternehmen rechtlich belangt wird, wenn es diese nicht erfüllt. Die Standards der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) V2.0 und die Gesetze zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung besagen, dass eine Webseite für alle Nutzer lesbar sein sollte, egal ob sie eine körperliche, geistige oder sprachliche Einschränkung haben und egal, mit welchem technischen Hilfsmittel sie die Seite lesen.

In Deutschland verhält es sich so, dass Webseiten auf Bundesebene entsprechend der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) für jeden zugänglich sein müssen. Auch auf Landes- und Kommunalebene soll das vermehrt zur Pflicht werden. Für privatwirtschaftliche Seiten ist Barrierefreiheit allerdings nicht rechtlich erforderlich. Und somit für die meisten einfach zu ignorieren.

Ein Beispiel für eine barrierefreie Webseite: www.lfm-nrw.de...
Ein Beispiel für eine barrierefreie Webseite: www.lfm-nrw.de
Quelle: Landesanstalt für Medien NRW

Barrierefreies Internet nicht in den Köpfen der Einzelhändler

"Die meisten Anbieter haben sich noch nie mit dem Thema barrierefreies Internet beschäftigt und kenne dessen Vorteile nicht", erklärt Heike Clauss, Projektleiterin von "BIK für Alle". Dieses Projekt aus der Reihe "BIK - barrierefrei informieren und kommunizieren" wird gefördert vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und läuft seit Anfang 2015 bis Ende 2018. Das Ziel: Unternehmen in der Privatwirtschaft über die Wichtigkeit barrierefreier Seiten aufzuklären und Webseiten auf ihre Zugänglichkeit hin zu testen.

Die Projektleiterin betont: "Barrierefreie Webseiten sind nicht nur für blinde Menschen wichtig, sondern für viele Zielgruppen. Sehbehinderte Kunden müssen die Schrift vergrößern und die Kontraste erhöhen können. Wer die Computermaus etwa aufgrund von Spastiken nicht greifen kann, braucht eine Seite, die über die Tastatur bedienbar ist. Für hörbehinderte Nutzer sind Gebärdensprache oder Untertitel in Videos notwendig. Zuletzt ist auch eine einfache Sprache ohne verschachtelte Sätze und viele Fremdwörter nicht nur für Menschen mit einer Lernbehinderung oder kognitiven Beeinträchtigung, sondern auch für Nicht-Muttersprachler extrem hilfreich." Auch Senioren freuen sich über Seiten, auf denen sie sich zurechtfinden.

Technische Voraussetzungen: Was macht eine Webseite barrierefrei?

Die Voraussetzungen für barrierefreie Webseiten liegen in der Art, wie sie programmiert werden und wie die Inhalte gepflegt werden.

Heutzutage werden Websites in der Regel mit Hilfe von Redaktionssystemen, sogenannten Content Management Systemen (CMS) erstellt. In diesem Redaktionssystem werden Inhalte eingegeben. Um Barrierefreiheit zu ermöglichen, muss das für den Rahmen der Darstellung (zum Beispiel Seitenstruktur, Navigation) verantwortliche CMS so eingerichtet werden, dass jedes Endgerät, technische Hilfsmittel oder Browser auf die Struktur der erzeugten Seite gut zugreifen kann. Kurz gesagt, der HTML-Quelltext der Seite muss gut sein, also HTML-Elemente entsprechend ihrer Bedeutung (Semantik) eingesetzt werden.

Das heißt, Überschriften, Absätze und Tabellen etwa müssen mit den entsprechenden HTML-Elementen ausgezeichnet sein. "Vor allem, weil der Nutzer sich nicht die ganze Seite vorlesen lassen will, sondern gezielt zu Inhalten springen will. Eine gute Überschriftenstruktur hilft dabei, sich auf der Seite zu orientieren", erklärt Sonja Weckenmann, die für BIK Webseiten von Anbietern testet. Auch Redakteure und Autoren sollten wissen, wie sie Webinhalte gut strukturieren und Alternativtexte sowie Untertitel einsetzen können.

Wenn alle Elemente ordentlich bezeichnet sind, finden übrigens nicht nur Menschen mit einer Behinderung sie besser, sondern auch Suchmaschinen im Internet. Dies dürfte einen zusätzlichen Anreiz gerade für Einzelhändler darstellen, die sich und ihre Waren im Netz präsentieren. Ein Marketing-Aspekt, der auf einfachem Wege mehr Kundschaft schaffen kann.

Auch diese Webseite wurde von BIK getestet und mit über 90 Punkten versehen....
Auch diese Webseite wurde von BIK getestet und mit über 90 Punkten versehen.
Quelle: Hypo Vereinsbank

Herausfinden, ob die eigene Webseite Barrieren hat

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Seiten auf ihre Zugänglichkeit hin zu testen: Zum einen mit Hilfe eines Experten – so wie Rick Williams oder das Team von BIK. BIK vergibt auch Prüfsiegel für die Seiten, die im Test mehr als 90 von 100 Punkten erreichen. Diese Tests sind mit Kosten verbunden. BIK bietet auf seiner Seite zum anderen auch einen kostenlosen Selbsttest mit 50 Fragen an, mit der jeder seine Seite einschätzen kann.

Rick Williams hält aber für besonders wichtig, Webangebote nicht nur hinsichtlich der Standards für Barrierefreiheit zu prüfen, sondern auch hinsichtlich der Usability, also der Nutzerfreundlichkeit. Er unterstreicht: "Barrierefreiheit ist nicht dasselbe wie Usability. Aber beide sind gleich wichtig. Das sollten Unternehmen wissen. Eine Webseite kann allen Richtlinien der WCAG 2.0 entsprechen aber dennoch für Nutzer schwer zu bedienen sein. Deshalb sollten immer Menschen mit unterschiedlichen Arten der Behinderung und verschiedenen Hilfsmitteln und Technologien diese Webseiten prüfen – am besten unabhängig vom Entwickler und vom Anbieter – und das in jeder Phase der Entwicklung. Das spart außerdem Aufwand, Zeit und Kosten und beugt möglichen Barrieren am besten vor."

Diese Aussage gibt im Wesentlichen wieder, wie es am einfachsten möglich ist, eine Seite barrierefrei zu gestalten: nämlich von Vornherein. Dann ist der Aufwand meist nicht viel teurer. Ein Nachrüsten hin zur Barrierefreiheit ist dagegen immer teurer und manchmal gar nicht möglich. Je komplexer die Seite, desto schwieriger wird es. Einzelne Elemente können zwar einfach verbessert werden, andere ändert man am besten bei einem Relaunch der Seite. Wenn von Anfang der Entwicklung an immer wieder getestet wird, wo Barrieren auftauchen, können diese Änderungen schon mit in den Aufbau einfließen und müssen nicht aufwendig und kostenintensiv korrigiert werden.

Ein besonderer Knackpunkt bei Webshops sind die Zahlungsmöglichkeiten, die nachträglich ergänzt werden und häufig nicht barrierefrei sind. "Anbieter sollten also darauf achten, dass die Bezahllösungen auch für alle zugänglich sind".

Autor: Natascha Mörs; iXtenso

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